1
Es war Zufall. Er hatte für Lydia eine Kaffeemaschine gekauft und sie im Büro zwischengelagert. Zu riskant, dachte er, den großen Karton bis zum Geburtstag in der Wohnung zu verstecken. Wo auch? Lydia wäre der Karton natürlich aufgefallen. Selbst in den Kram-Höhlen der Jungs. Der ruppige TiIl stand gerade unter ihrer strengen Aufsicht und der hinterhältige Julian hätte ihn mit Vergnügen verpfiffen.
In der Woche als er die Maschine in der Büroküche zwischenlagerte, begann Judith ihr Referendariat. Sie hatte einen verdammt schweren Start. Die knackalte, krächzende Kaffeemaschine fiel aus und die Büro-Kampfziegen testeten die Belastbarkeit der Neuen aus. Das machten sie immer so. Eigentlich war es ihm egal. Diesmal nicht.
„Mach vernünftigen Kaffee!“
„Was ist denn das für eine Brühe!“
„Kipp weg. Mach neuen!“
Diesmal spürte er einen Hauch von Empathie und eine Brise selbstgefälligen Rittertums um sein Herz wehen. Vielleicht lag es daran, dass die neue Referendarin sehr seinem uneingestandenen Geschmack für Frauen entsprach. Eine gertenschlanke, zarte Figur, wie ein Reh, hellblonde lange Haare, mit blitzenden wachen, ja frechen Augen. Allerdings halb so alt wie er. Sie hätte seine Tochter sein können, wenn er sich nicht soviel Zeit gelassen hätte, eine Familie zu gründen. Kurzerhand schnitt er die für Lydia zwischengelagerte Maschine aus dem Karton und raunzte die Krawall-Damen an, sie könnten sich nun wieder selbst um ihre Brühe kümmern und das Blondchen in Ruhe lassen. Judith brachte ihm mit einem langen, dankbaren Blick und einer Praline auf einem der unerträglichen Blümchen-Unterteller den ersten Maschinen-Latte.
„Habe ich die Dinger immer noch nicht alle kaputtgekriegt?“ Er pochte mit dem Fingernagel auf den Unterteller, stellte den Latte auf einen Stapel Papiere, steckte die Praline in den Mund und reichte ihr grinsend den Unterteller zurück.
„Lassen Sie den bitte versehentlich fallen.“
„Möchte ich mir gerade nicht leisten“, lächelte sie höflich und schaute zur Bürotür, hinter der die krawalligen Ziegen saßen.
„Tut meinem Selbstwert nicht so gut.“
„Geben Sie mal her“, er nahm ihr den Blümchenteller bierernst aus der Hand und ließ das unschuldige Tellerchen in den Papierkorb fallen.
„Scheiß drauf“. Verdutzt blickten sie sich an.
„Ich weiß, das war etwas übertrieben.“
„Schöner Blick“, sagte Judith als sie sich am Nachmittag verabschiedete. Und wies mit dem Kopf aus dem Fenster. Unten wand sich der Kanal wie eine lauernde Schlange um die gedrungenen Bürohaus-Klötzer. Ein Ausflugsdampfer schlingerte gerade vorbei.
Nach dem Wochenende verschwand der leere Karton. Die penible Putzfrau. Was ihr überflüssig erschien, verschwand. Damit hatte die Maschine ein neues Heim gefunden.
Die Buchhalterin bot ihm grinsend an, die Maschine als Büroanschaffung einzubuchen und ihm das Geld zurückerstatten.
„Das Blondchen hat’s dir angetan, was?“ grinste sie.
„Genau. Macht ihr nur weiter so und ich verliebe mich aus Protest in sie.“ knurrte er verärgert.
Als Geburtstagsgeschenk für Lydia hatte sich die komfortable Maschine erledigt.
Doch das Blondchen hatte eine Idee. Damit fing alles an.
2
Sie fuhren schweigend in seinem schwarzen Wagen über die endlos lange Ausfallstraße durch den zähflüssigen Verkehr zu einem Vorort der Stadt. Er war dankbar, dass Judith ihn nicht zutextete, sondern still der sanften Klaviermusik lauschte, die er oft hörte, wenn er ziellos in der Stadt herumfuhr. Die Musik war sofort angesprungen, nachdem er den Motor gestartet hatte. Doch als er das Edel-Geklimper ausschalten wollte, hatte Judith seine Hand mit einer irritierend vertraulichen Geste gestoppt. „Stört mich nicht. Überhaupt nicht“, bekräftigte sie und schaute ihn wieder mit einem ihrer langen Blicke an. Komische Angewohnheit, Leute solange in die Augen zu blicken, dachte er flüchtig, mit einem Hauch von aufwallendem Groll.
Nach einer sanft berieselnden Stunde erreichten sie den Vorort, ein exklusives Viertel am Stadtrand, das wie ein Fluchtort für junge wohlhabende Paare mit hochbegabten Kindern wirkte. Sie parkten an einem hübschen, belebten Platz mit hohen Linden, eilten durch ein kurzes Wirrwarr von Straßen zu einer gut besuchten Ladenzeile, Judith hielt eine gläserne Ladentür auf und ein glockenwarmes „Plong“ säuselte ihm entgegen. Eine Schmuck-Werkstatt. Er stutzte und ihm fiel ein, dass er im Büro gar nicht nachgefragt hatte, was das für eine Geschenkidee sei, die sie als Ersatz für die Maschine im Sinn habe. Er hatte ihr instinktiv vertraut.
Ein hochaufgeschossener, durchtrainierter Mann ließ sich im Türrahmen eines Hinterzimmers blicken, ging mit aufleuchtenden Augen auf Judith zu und schloss sie in seine muskulösen Arme, die sich wie zwei riesige Besitz ergreifende Engelsflügel um sie legten. Ihm kam spontan der Verdacht, dass er ein abgelegter Liebhaber von Judith war. Ohne viel Vorgeplänkel fragte sie nach einer speziellen Bernsteinkette.
„Ach,“ flötete der muskulöse Engel, entließ Judith aus seinen Flügeln, verschwand im Hinterzimmer und kam mit der Kette zurück, “die Kette, die ich dir nicht schenken durfte?“
Der engelhafte Muskelprotz zeigte auf ihn, musterte ihn neugierig mit seinen blauen Knopfaugen und schaute Judith demonstrativ schmollend an.
„Aber er darf?“
„Ist für seine Frau“, beeilte sich Judith zu sagen und tippte auf die breite Brust des athletischen Mannes. „Gabriel.“
Ein Erzengel, dachte er amüsierte und streckte ihm die Hand hin.
„Angenehm. Ein Kollege von Judith. Sie hat mir das Geburtstagsgeschenk für meine Frau… vermasselt.“
„Das sieht ihr ähnlich“, grinste der Engel.
Loses Mundwerk, dachte er und zuckte mit den Schultern.
Die Bernsteinkette war ziemlich eindrucksvoll, fand er dann doch. Zuerst erinnerte sie ihn an aufgefädelte Kandiszuckerstücke, aber je genauer er sie betrachtete, desto verblüffter war er. Die kantige Vielfalt, der Wechsel der Größen und die Farbtöne der Bernsteine hatte irgendetwas Betörendes.
Der Mann verstand sich auf sein Gewerk und er unterließ es, den Kandiszucker-Vergleich unterzubringen.
„Zum Teufel, warum haben Sie sich diese Kette nicht von Ihrem sportlichen Freund schenken lassen?“ fragte er Judith.
„Hätte zu viel bedeutet.“
„Zuviel,“ er musterte den athletischen Schönling, der ihn selbstgefällig angrinste, „bedeutet?“
Judith errötete leicht.
„Gut gemacht, Kindchen.“ rutschte es ihm spontan heraus.
Süffisant bat ihn der Engel, seine Gattin zu beschreiben, er wolle herausfinden, ob die Kette auch wirklich zu seiner Frau passe.
„Oder meine Frau zu Ihrer Kette?“
Ziemlich schnell hatte er den Verdacht, als machte sich der arrogante Bursche einen Spaß daraus, immer genauer nach den körperlichen Attributen seiner Frau zu fragen, da er nur stockend Auskunft geben konnte über Lydias Statur, Kleidungsstil, Hautton, Augen- und Haarfarbe.
„Hab lange nicht mehr drauf geachtet,“ gestand er.
Judith sah ihn wieder sehr lange und aufmerksam an. Sehr aufmerksam.
„Gab aber mal eine Zeit, da hab Sie’s ganz genau gewusst?“ fragte der Engel gehässig.
„Kein lange verheirateter Mann kann wie aus der Pistole geschossen die eigene Frau so genau beschreiben.“
„Geht nur mit der aktuellen Geliebten, was?“
„Gabriel!“ ließ Judith empört von sich hören.
Er schaute den Erzengel eindringlich an, der gelassen zurückblickte und seinen Kopf zu Judith wendete, während er zu ihm sprach.
„’Tschuldigung. Sie wirken wie einer, der…“
„Soll das ein Kompliment werden?“
„Eher eine Mahnung…“
Judith zischte und der hinterhältige Kerl verstummte.
„Sie haben recht. Ich werde die Aura meiner Frau genauer studieren, damit niemand wie Sie auf die Idee kommt, ich würde sie nicht lieben.“
Doch der Lulatsch gab keine Ruhe. Er forderte Judith auf, sie möge die Kette probehalber für ihren netten Kollegen aufziehen.
„Der Verschluss ist nämlich tricky. Probieren Sie’s an Judith aus. Als Stellvertreterin für ihre Frau.“
Judith verdrehte die Augen. Aber dann kam der Moment.
Als hätte der Scheißkerl was geahnt, dachte er.
Er legte die Kette um Judiths Hals. Ein Schwanenhals, schoss es ihm durch den Kopf.
Während er am Verschluss herumfummelte, entdeckte er auf ihrem Nacken die feinen Härchen, die vom hochgesteckten blonden Haar herunterfielen. Er hatte nie begriffen, warum ihn manche Nackenlinien von Frauen so faszinieren konnten. Dann klickte Verschluss. Bitte nicht, dachte er noch, und sog Judiths betörenden Duft ein.
„Was war das denn für ein Arschlosch“, sagte er im Auto.
Judith antwortete nicht, sie sah bedrückt aus.
3
Lydia war vollkommen aus dem Häuschen als er ihr am Morgen ihres Geburtstages im Bett die Kette anlegte und er dabei an Judiths verdammte Nackenlinie denken musste. Ein paar Minuten später kam Lydia keuchend auf ihm, die Klunkern pendelten wild an ihrem geröteten Hals hin und her und er schnappte mit den Lippen danach. Kandiszucker. Und dachte an Judith. Und an das Grinsen dieses Schnösels als Lydia ihre routinierte Hand auf seine Hoden legte. Und er – kam. Na toll. Ganz toll.
Zwei Stunden später, in der Büroküche, fragte Judith, wie sein Geschenk angekommen sei. Und natürlich sprach er nicht von den wild pendelnden Steinen an Lydias Hals. Es schickte sich nicht, natürlich nicht. Zuviel Vertraulichkeit. Eigentlich ein gefährliches Alarmzeichen: Der Wunsch nach Vertraulichkeit. Die Kaffeemaschine schnorchelte nebenher und bekam für ihn einen speziellen Signalklang. Er sollte diese blonde Referendarin besser links liegen lassen und sie nicht mehr als nötig beachten. Das junge Ding. Könnte meine Tochter sein, dachte er. Ich sollte sie wie einen Ordner ins Büroregal schieben, wie all die anderen Kolleginnen, an denen er irgendwann das Interesse verlor. Kein Lektüre-Versuch, kein Ein-wenig-in-ihr-Herumblättern.